Student entwickelte Entwurf für einen „Dokumentationspark Reichsparteitagsgelände“

Konzept wider das Vergessen

Diplomarbeit mit künstlerischen und architektonischen Mitteln – Ausstellungs- und Tagungszentren

Der Neu-Nürnberger wunderte sich. „Das kann´s doch nicht sein“, dachte sich Mathias Hennig bei seinem ersten Besuch des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes anno 1989. Eine „Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung“ spürte er. Als wenn nichts gewesen wäre – zwischen 1933 und 1945. Boote im malerischen Dutzendteich, Tennisspieler, Jogger, Spaziergänger. Eine Idylle.

Vor fünf Jahren kam der Architekturstudent von Weimar nach Nürnberg. Schon nach kurzer Zeit stieß er bei seiner Stadterkundung auf die bauliche Hinterlassenschaft des „Dritten Reiches“. Den heute 29jährigen reizte die Auseinandersetzung mit den steinernen Zeugen, vor allem auch mit dem, was nicht mehr zu sehen ist, verschüttet ist, verschüttet wurde.

Chronik der Versäumnisse

Die Chronik der Versäumnisse nach 1945 im Umgang mit dem 24,5 Quadratkilometer großen Areal, das die Nationalsozialisten zum gigantischen Feierort ihrer jährlichen Parteifeste gemacht haben, ist lang. Weite Flächen sind ihrer früheren Zweckbestimmung längst entzogen. Die Überreste werden meist trivial genutzt. Im Kongressbau lagert ein Versandhaus seine Waren, auf der Zeppelintribüne sitzen Zuschauer beim Norisringrennen, die „Luitpoldarena“ verwandelten Landschaftsgärtner zum Luitpoldhain. Allerorten wächst Gras über die Relikte. Die Vergangenheit – weggesprengt, vergessen, verdrängt, entsorgt?

Mathias Hennig hat das Nürnberger Dauer-Thema zum Abschluss seines Architekturstudiums an der Georg-Simon-Ohm-Fachhochschule (FH) zu seinem Thema gemacht. „Ich will den Punkt berühren, der wund ist“, sagt er. In einer beachtlichen Fleiß- und Denkarbeit hat er für das Areal ein Gesamtkonzept entwickelt, um die Geschichte des Ortes für jedermann sichtbar aufzuarbeiten. Hennig schlägt einen „Dokumentationspark Reichsparteitagsgelände vor, der mit freiraumplanerischen, künstlerischen und architektonischen Elementen vor allem eines vermittelt: eine klare Haltung. Eine Haltung der Stadt und ihrer Bürger der NS-Vergangenheit gegenüber. Hennig fragte sich: „Wie kann ich räumlich spürbar machen, dass ich das, was unter den Nationalsozialisten geschehen ist, verurteile?“ Mit Teilkonzepten oder ein paar Informationstürmchen verstreut im weiten Gelände sei dies nicht zu leisten. Der 29jährige sieht mit den Mitteln der Dokumentation die besten Chancen dazu. Der Entwurf wird spektakulär.

Verschiedene Darstellungsebenen – gekennzeichnet mit Begriffen – hat der Diplomand entwickelt:

• „Aufspüren“: Stellen, die nur noch an den äußeren Formen die frühere Architektur erahnen lassen, möchte Hennig mit Reihen von in den Boden gerammten, 1,50 Meter hohen Stahlnägeln markieren. So könnte beispielsweise das Halbrund im Luitpoldhain, wo heute Blumen sprießen, als SA-Tribüne gekennzeichnet werden.
• „Sichtbarmachen“: Die Grenzen von ehemaligen Bauten, die gänzlich vom Boden verschwunden sind – etwa das „Märzfeld“ - sollen an manchen Stellen mit Spundwänden abgesteckt werden.
• „Relativieren“ und „Durchdringen“: Hennig will das Gelände mit einem neuen Wegenetz versehen, das im krassen Widerspruch zu den bestehenden Bauten und Achsen steht. Gräben durchschneiden als Fußgänger- oder Fahrradverbindungen die vorhandenen Achsen. Die Große Straße wird zersplittert, durch den Torso der Kongresshalle und durch die Zeppelintribüne will Hennig Schneisen brechen. Im Mittelpunkt steht ein Dokumentationszentrum, das sich aus dem Silberbuck – als Schuttberg nach 1945 entstanden, zeigt er gleichsam das Ende des „Dritten Reichs“ - schiebt. Gegenüber dem Ausstellungsbau (zur Dokumentation der Geschichte des Ortes mit Forschungseinrichtungen, Bibliothek, Archiv, Arbeitsräumen) postiert Hennig auf der anderen Seite der NS-Prachtstraße – zu erreichen über einen die Große Straße diagonal durchtrennenden Weg – ein Gästehaus mit Tagungszentrum.
• „Eingrenzen“: Zuletzt möchte Hennig das gesamte Areal mit 220, je sechs Meter hohen Säulen aus gepresstem Schrott umschließen. Jeder Rundpfeiler (Durchmesser: ein Meter) soll für 250 000 Tote stehen. In der Summe sind sie ein Symbol für 55 Millionen Opfer des Zweiten Weltkriegs.

Teile zu verwirklichen

Hennig weiß, dass die Finanzierung seines Entwurfes „jenseits von gut und böse“ ist. Gleichwohl glaubt er, dass Teilabschnitte seines kühnen Programms durchaus zu verwirklichen sind. Die öffentliche Diskussion um das NS-Gelände hat Hennig allemal bereichert. Pläne samt Modell sind ab 9. Februar in einer FH-Ausstellung mit Diplomarbeiten im Fachbereich Architektur, Keßlerplatz 12, für wenige Tage zu sehen.

Quelle: (Nürnberger Nachrichten, 10.02.1994)

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