Residieren wie in einem Märchenschloss
Nürnbergs "Königin der Villen" an der Campestraße wird 120 Jahre alt
Dass Nürnberg einst eine Stadt der Villen war, ist heute nur mehr schwer nachvollziehbar. Zu groß sind die Schäden, die der Zweite Weltkrieg und die Bauwut der vergangenen Jahrzehnte an dem ehemals reichen Bestand nobler Wohngebäude angerichtet haben.
An der Campestraße in St. Johannis aber ist es noch spürbar, das Flair eines mondänen Wohnquartiers der vorletzten Jahrhundertwende. Die ,,Königin unter den Königinnen" ist hier fraglos die Villa Kohn, die sich an der Einmündung der Frommann- in die Campestraße erhebt.
Emil Hecht, nach dessen Entwurf sie 1898 bis 1899 entstand, wusste die Ecklage geschickt zu nutzen, um die repräsentativen Qualitäten der Architektur auszuschöpfen: Am Zusammentreffen der beiden Flügel platzierte er ein gewaltiges, turmartiges Treppenhaus auf ovalem Grundriss, das die vier Etagen erschließt und gleichzeitig als Hauptportal mit Vorfahrt unter einem großzügigen Altan sowie als städtebaulicher Blickfang dient.
Nicht nur äußerlich gemahnt der Bau im Stil des Neorokoko an die berühmten Schlossbauten Frankens wie Pommersfelden, Ellingen oder Veitshöchheim. Schließlich war das 19. und frühe 20. Jahrhundert die Zeit, da der großbürgerliche Geldadel danach strebte, der Lebens- und Wohnkultur des Erbadels nachzueifern. Auch das lnnere kündet vom Repräsentationswillen der Bauherrn. Neben Türen mit reich geschnitzten Blendrahmen, Stuckdecken und Parkettböden haben sich Teile der Wandvertäfelungen, Kachelöfen, kunstvoll geschmiedete Treppengeländer und weitere historische Details in unsere Zeit hinübergerettet - trotz der bewegten und tragischen Geschichte, die die Villa Kohn erzählt.
Maren Janetzko hat das Schicksal der Bauherrenfamilie und ihres Unternehmens im Jahr 2000 in dem - leider vergriffenen - Buch "Haben Sie nicht das Bankhaus Kohn gesehen?" (Sandberg-Verlag) niedergeschrieben: Der Wohlstand des jüdischen Bankiers Emil Kohn (1845-1906) und seiner Ehefrau Wilhelmine Maas (1858-1940) gründete auf Bayerns größtem privaten Geldinstitut, das sie ab 1878 mit Emils Vater Anton aufgebaut hatten. Die Villa, die das Paar mit seinen Kindern Richard und Elise nebst Familie bewohnte, war sichtbarer Ausdruck des geschäftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs.
Ihr Reichtum und ihr ausgezeichneter Ruf machten die Kohns schon vor 1933 zur Zielscheibe judenfeindlicher Hetze. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 fielen SA-Männer in der Campestraße 10 ein, misshandelten die Familienmitglieder und zerstörten Teile des Mobiliars. Damit nicht genug: 1939 zwang das NS-Regime die Familie zum Verkauf ihrer Bank in der Königstraße 26, die es zuvor durch Verleumdung und Boykottaufrufe in den Ruin getrieben hatte.
Am Ende nahmen die Nazis den Kohns erst ihr Zuhause, um es dem Reichsarbeitsdienst zur Verfügung zu stellen, und trachteten ihnen dann auch noch nach dem Leben: Während sich Emil und Wilhelmine Kohns Enkel vor der Verfolgung in Sicherheit bringen konnten, wurden ihre Kinder Elise, Johanna, Martin und Richard im Ghetto Izbica und im Lager Salaspils bei Riga ermordet.
Die Überlebenden kehrten nicht zurück, aber sie sorgten dafür, dass ihrer Villa eine Zukunft in Würde beschieden war: Nachdem die Familie die Rückgabe des Hauses, in dem zwischenzeitlich das Finanzamt eingezogen war, erstritten hatte, veräußerten sie es 1955 an die altehrwürdige Gesellschaft Museum. Dem erklärten Willen der Kohns und der Feinfühligkeit des Vereins ist es zu verdanken, dass die Räume auch nach 120 Jahren noch den Geist der Jahrhundertwende atmen - und dass sie der Öffentlichkeit zugänglich sind.
Während die Gesellschaft das Souterain als Clubhaus für geselliges Zusammensein und Bridge-Abende nutzt, bieten Irina Abadjieva und Udo Abadjiev mit der,,Tanz Galerie" im Hochparterre einen Ort für Tanz, erlesene Mode, Kunst und private Feiern im historischen Ambiente. Die Obergeschosse belegen das Büro blauhaus Architekten, das auch für die jüngste Instandsetzung der Villa verantwortlich zeichnet, sowie mehrere Rechtsanwälte.
Allein die Instandhaltungskosten für das gewaltige Anwesen forderten ihren Tribut: Ende der 1990er Jahre sah sich die Gesellschaft Museum gezwungen, den größten Teil des riesigen Gartens an die Koch Invest zu veräußern, die 2000 bis 2002 innerhalb des historischen Zauns drei voluminöse Neubauten mit Wohnungen und Büros errichtete.
Dennoch: Die Villa Kohn ist ein Ort geworden, an dem Menschen mit unterschiedlichen Leidenschaften und Professionen zusammenkommen, ein Ort, der noch heute erzählen kann von der Prachtentfaltung des Historismus und vom Schicksal einer Nürnberger Familie.
Quelle: Nürnberger Zeitung, Sebastian Gulden
Bildquelle: Verlag Ernst Nister (Stadtarchiv Nürnberg, A5 Nr. 3362)