Treppenhaus als Kraftraum
Zentraler geht es kaum: Das Hotel Victoria am Königstor ist bestens erreichbar. Auf einen Aufzug aber mussten die Gäste zuletzt wochenlang verzichten. Und die Mitarbeiter ebenso. Chefin Sabine Powels machte aus der Not mangelnden Komforts eine Tugend - und verkaufte die baustellenbedingte Belastung als Fitness-Aktion.
In dem Haus, das zu den Traditionsherbergen der Stadt gehört, sind seit Monaten auch Handwerker zugange - bei laufendem Betrieb werden insgesamt rund zwei Millionen Euro investiert. Zum einen wird die historische Fassade zur Stadtmauer hin gereinigt und erneuert, zum anderen das Mansardengeschoss ausgebaut, natürlich in enger Abstimmung mit dem Denkmalschutz. "Dort entstehen sechs neue Zimmer", erläutert die Geschäftsführerin des Familienbetriebs. Weil an anderer Stelle Räume zusammengelegt werden, stehen in der Herberge ab Ende September unterm Strich allerdings nur drei Zimmer mehr zur Verfügung. "Dafür aber größere Einheiten, und die sind gefragt, zum Beispiel von Familien", so Powels. Um auch die neuen Zimmer bequem erreichbar zu machen, musste der Aufzug um einen Stock nach oben verlängert werden - und weil dazu ohnehin die gesamte Anlage erneuert werden musste, maßgeschneidert von einer Manufaktur, wird auch das Kellergeschoss einbezogen. Dort soll mittelfristig ebenfalls etwas Neues entstehen. Der Pachtvertrag für das Irish Pub, das dort 30 Jahre lang für feucht-fröhliche Betrieb sorgte, ist schon vor bald einem Jahr ausgelaufen - und sei in gegenseitigem Einvernehmen, wie Powels betont, nicht mehr verlängert worden.
"Unser Haus war einstmals überhaupt eines der ersten in Nürnberg mit hydraulischem Aufzug. Wie aber war nun die baubedingte Zwangspause zu überstehen? "Natürlich haben wir alle Gäste vorher informiert und darauf aufmerksam gemacht, und selbstverständlich haben wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Koffer auf die Zimmer geschleppt", erzählt die Chefin, aber nur jeder zweite habe das auch in Anspruch genommen. Das Hauspersonal musste über viele Wochen hinweg aber zum Beispiel auch die schweren Wäschesäcke auf die Etagen wuchten. Allein die hätten zusammen rund 30 Tonnen auf die Waage gebracht.
Derweil sollten bunte Schilder an den Treppenaufgängen für die nötige Motivation sorgen: "Fördern Sie Ihre Gesundheit", "Treppensteigen verringert Körpergewicht und Hüftumfang", "Treppensteigen trainiert das Gleichgewichtsorgan" stand da etwa zu lesen. Als wäre das nicht genug, gab es auch materielle Anreize: Dem ganzen Team im Haus spendierte die Chefin extra-bequeme Laufschuhe, das Frühstücksbuffet und die kleine Theke für zwischendurch wurden mit Engergy- und Vitalsnacks verstärkt.
Und das Zuckerl: Für jedes Treppensteigen, von Gästen wie von Mitarbeitern, floss Bares in einen Spendentopf, jeweils ein Euro pro Stockwerk. In 78 Tagen ohne Aufzug kam einiges zusammen - schließlich entsprach das Treppensteigen insgesamt 254-mal dem Empire State Building Run gelaufen über 1576 Stufen. Mit dem aufgerundeten Ertrag von 10 000 Euro unterstützt das Hotel (indirekt auch die Gäste) die Stiftung "Wings for Live", eine Stiftung für Rückenmarksforschung. Eines Tages, so ihr großes Ziel, zu dem sie maßgeblich beitragen will, sollen traumatisierende Querschnittslähmungen heilbar sein.
Nürnberger Stadtanzeiger, 17. August 2017 Seite 27 von Wolfgang Heilig-Achneck