Memento aus Schrott
Reichsparteitagsgelände, Nürnberg
„Man muss das Gelände lesen können“ fordert der Jungarchitekt Mathias Hennig (30) – nämlich das ehemalige Nürnberger Reichsparteitagsgelände, mit dem er sich in einer ziemlich spektakulären Diplomarbeit zum Abschluss seines Studiums an der Nürnberger Fachhochschule sehr kritisch und sehr spekulativ und sehr gründlich auseinandergesetzt hat.
Einen „Dokumentationspark Reichsparteitagsgelände“ hat er in zahlreichen Skizzen und Modellen angedacht; so provokativ immerhin, dass er wohl auch einige seiner Professoren gehörig verschreckt hat – denen er auch erst im zweiten Anlauf die Zustimmung zu dieser Arbeit hatte abnötigen können. Weil dies Projekt nicht nur in seiner kaum überschaubaren Größenordnung, sondern auch in der Vielfalt der Argumentationsebenen Grenzen sprengt. Und natürlich - „Man braucht eine gewisse Wut!“ - eminent politisch aufgeladen ist, was als letzter Schritt zum „Dipl.-Ing. Fachrichtung Architektur“ Skepsis auslösen kann.
Hennig, der, aus Thüringen gebürtig, zunächst in Weimar studiert hat, ehe ihn politisch widrige Winde nach Nürnberg verschlugen, wollte „alles auf den Punkt bringen“, was mit der Gigantomanie dieses Parteitagsgeländes und seinen Hintergründen und Konsequenzen zu tun hat. Die monströsen Bauten Albert Speers haben ihm, wiewohl ja nur noch in Rudimenten vorhanden, solch einen Schrecken eingejagt, dass er, politisch „gebranntes Kind“, sich förmlich gezwungen sah, „eine Haltung räumlich zu markieren“. Um nach fast 50 Jahren trivialer Nutzung auf diesem Gelände die Spuren einer mörderischen Vergangenheit bleibend zu fixieren. „Aufdringlich“ - wünscht er sich. Späte Betroffenheit anschaulich machen, ehe sie versickert.
Dazu hat er sich erst einmal in die Geschichte dieses Geländes eingelesen, sechs Jahrhunderte aufgelistet: von der ersten Erwähnung der „dutzend Teiche“ anno 1337, ehe der Lorenzer Reichswald als ältester Kunstforst Europas entstand; wie dann Hammerwerke und Schmelzöfen und Ziegeleien Nürnbergs früheste Industrie bildeten; dann im 19. Jahrhundert die Spaethsche Eisenfabrik entstand (die mit Deutschlands erster Lokomotive, dem „Adler“, Aufsehen erregte); wo 1906 die Nürnberger Gewerbeausstellung die Massen anzog und die Landung des „Zeppelin“; wo Nürnbergs erster Zoo Platz fand und 1979 der Nürnberger Deutsche Evangelische Kirchentag zu Ende ging – geschichtsträchtiger Boden den Hitler und Speer umgraben ließen zur gigantischen Manifestation faschistischer Macht.
Hennig möchte die Ebenen dieser vielschichtigen Historie aufblättern und fassbar machen, hat sich optische Leitmotive ausgedacht für fünf Ebenen (die sich auf seinen Plänen mit Hilfe übereinandergelegter Folien fassbar werden): Zum Aufspüren und Sichtbarmachen und Durchdringen dienen ihm meterhohe Stahlnägel und Kanalbohlen und Stelen aus gepresstem Schrott als Landmarken, aufzuzeigen, was alles nach 1945 abgerissen wurde – oder im Krieg im Planungsstadium steckenblieb. Die 220 Schrottpfeiler, die im Abstand von hundert Metern das Gelände umgrenzen, sollen an jeweils 250 000 Kriegsopfer erinnern. Wo die erste und letzte Stele sich treffen und somit 55 Millionen Tote in Erinnerung gerufen sind, ist der Eingang zum Mittelpunkt des ganzen Geländes gedacht: einem stählernen Dokumentations- und Kongresszentrum mit Gästehaus, hineingebaut in den „Silberbuck“, den gewaltigen Schuttberg, aufgehäuft aus den Trümmern einer stolzen Reichsstadt, den Trümmern einer wahnwitzigen Ideologie. Das ist freilich eine handfeste Weise, böse „Vergangenheit auf den Punkt zu bringen; Indem man Trümmern wörtlich auf den Grund geht, in ihre Tiefe dringt.
Ist dies alles realisierbar – noch dazu in rezessiven Zeiten? Hennig, über lebhaftes Medienecho schon mal erfreut, möchte jedenfalls einen Anfang gemacht sehen – und wenn einzelne Nägel gleichsam als „Gedenk-Aktie“ verkauft würden; Sponsoring für Spurensicherung. „Es muss Bewegung in die Sache kommen...“
Quelle: BAYK. Author: Klaus Martin Wiese