Architektenwettbewerb Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände

Neu für uns war die Einladung zu einem Architektenwettbewerb, für den wir uns beworben hatten. Aufgrund des Themas dieser Ausgabe und aus aktuellem Anlass möchten wir über unseren Entwurf berichten:

Insgesamt 7 Architekten aus Deutschland und Österreich waren für diesen Wettbewerb eingeladen. Unsere Arbeit wurde von 3 Partnern verfasst, Architekt Julius Mihm und Herrn Dittrich Lohmann und mir. Der Sieger des Wettbewerbes, sicher bekannt durch die Presse ist Prof. Günther Domenig aus Graz. Der Entwurf wird realisiert und das Doku-Center im Jahr 2000 eröffnet. Seine Leitidee war das Einschlagen eines „Pfahles“ in die bestehende Substanz.

Wir möchten in dieser Ausgabe Planauszüge und Textteile aus unserem Wettbewerb veröffentlichen, die einen anderen Ansatz verfolgen - „eine Verwerfung“.

A) Leitidee

Die Geschichte des Reichsparteitagsgeländes wird erzählt. Dafür gibt es zwei Wege, die „innere“ Dokumentation mittels Medien (Ton und Bild) und die „äußere“ über gegenständliche Dokumente im Gelände (bauliche Reste als Grundgerüst). Diese beiden Dokumentationsebenen erhalten ihre dynamische Verbindung in einer Verwerfung. Diese ist das initiierende Eingangselement für Rundgänge auf dem Gelände.

B) Absicht und Zufälligkeit in der Lage

Die antithetischen Elemente zu den willkürlich konstruierten Achsen und Flächen des Reichsparteitagsgeländes sind die Wegestrukturen der vorhandenen Freizeit- und Gewerbenutzung, die keinem Masterplan gehorchen. Wir leiten verstehbare Bezüge aus diesen traditionell positiv besetzten Zusammenhängen des Ortes als Landschaftsraum her: Freizeitnutzung, individueller Bewegungsraum im Grünen. Unser Konzept nimmt deshalb die Merkmale des Ortes an und präzisiert ihre Funktionsabläufe. Klarere Wegeführung, erweiterte Treffpunktbildung, transparentere und akzentuierte Grünraumgestaltung und räumliche Orientierung.

Das Grünband flankiert geradlinig den Haupterschließungsweg für Fußgänger in das gewachsene Erholungsgebiet. Das Eingangsbauwerk des Dokuzentrums beherrscht dort eine kleine Platzfläche am Knotenpunkt der vorhandenen Funktionsbereiche: Bayernstraße, Nordflügel des Kongressbaus, Dutzendteich sowie verschiedene Grünräume. Über diesen Platz, der schon jetzt aufgrund seiner Naturnähe häufig zum Verweilen genutzt wird, führen alle Wegebeziehungen des Ortes. Aufgrund seiner Lage an genannter Stelle und durch seine signifikante Form erfüllt das Gebäude eine optimale Filterfunktion. Die dynamisch geschwungene Form des Grünbandes verbindet die Grünräume beiderseits der Bayernstraße gestisch.

Die Lage des Eingangsbereiches zum Dokuzentrum ergibt sich aus der Nähe zur nördlichen Querhalle des Nordflügels und zum Wegkreuz an der Ecke des Dutzendteiches.

C) Verdrängung und Banalnutzung fortsetzen?

Heute dokumentiert sich in der pragmatischen Freizeit- und Gewerbenutzung des Gebäudes, dass die Entstehungsgeschichte und Zweckbestimmung des Kongressbaus als Ausdruck einer fehlgeleiteten ideologischen Vorstellungswelt in der Nachkriegszeit verdrängt wurde.

Die Einrichtung eines Dokuzentrums über diese Welt steht nicht mehr in der Tradition der Banalnutzung seit Kriegsende.

D) Ist das Dokuzentrum ein städtischer Ort?

Architektonischer Ausdruck ergibt sich aus den vorhandenen Ruinen ausschließlich als Selbstbezug. Sie verweigern sich der Einfügung in ein urbanes System. Im Verlauf der Bearbeitung des Wettbewerbes hat sich herausgestellt, dass konventionelle architektonische Konzepte mit räumlichem und funktionalem Bezug zum Nordflügel immer zu einem Satelliten dessen schrumpfen. Der Kongressbau ist wie ein „schwarzes Loch“, wie eine schwere Masse, die mit ihrer negativen Energie alles schluckt, was sie auf sich beziehen kann.

Nur ein Konzept, das über die üblichen Methoden der städtebaulichen Anbindung (z.B. Riegel, Turm, Block) hinausgeht und einem anderen, positiv besetzten, übergeordneten System folgt, kann inhaltliche Eigenständigkeit entwickeln und sich der Vereinnahmung entziehen. Die Größe des Neuen ist dann nicht entscheidend und der Maßstab nicht die dominierende Relation. Durch das sich aufwölbende grüne Band entsteht ein Freiheitsgrad, in dem eine Loslösung von der Sprache des Kongressbaus, d.h. in den Bereichen der Tektonik, der Symbolik, der Dimension, der Funktionsmöglichkeit und der Raumbildung möglich wird.

Das einzige, jetzt schon auf dem Gelände praktisch nachvollziehbare System ist das der Wege, Wasserflächen und Grünräume. Dieses System muss durch Bildung von Rundgängen mit den Orten der Dokumentation verknüpft werden (Bindegliedeffekt der Struktur).

E) Autonomie statt Einbindung?

Die Gestaltung des Eingangs des Dokuzentrums ist eigenständig im Sinne einer deutlichen Markierung des Freiraumes. Der neue Baukörper weist in seinen übergeordneten landschaftlichen Bezügen über sich hinaus: Seine lineare Wegweisung mündet in Rundgänge durch die Landschaft. Es entfaltet darin als selbstständige Form eine neue integrierende Kraft des Ortes.

F) Berührung

Die behutsam beginnende, sich dynamisch steigernde und wieder abfallende Bewegung der Landschaftsplastik des Grünbandes ist ein zarter Schwung im Raum, eine Geste, die die Atmosphäre sanft einbezieht. Dem steht die kolossale Sperrigkeit des Kongressbaus gegenüber.

Die Innenräume seines Nordflügels sind in ihrer architektonischen Unbestimmtheit ausdruckslos und leer. Nichts als massiv gefasste Hohlräume, deren Volumina nur eine geometrische Funktion haben.

G) Umgang mit dem Torso

Die Landschaftsplastik will absichtlich die schwierige Beziehung zum vorhandenen Gebäude nicht eigentlich zum Thema machen: Distanzierungen, Ironisierungen, Abwehrreaktionen und Konfrontationen entfallen bewusst. Das Einlassen auf die Bedeutung des Freiraumes verhilft zu der gesuchten Eigenständigkeit.

Die Plastik nimmt eine Haltung ein, die sich nicht davon abhängig macht, ob die vorhandene Bausubstanz hässlich oder schön, friedfertig oder bösartig, gelungen oder schlecht sei. Die vorhandene Substanz existiert einfach und ist benutzbar.

H) Ästhetik und Material

Das aus dem Grünband entwickelte Eingangsgebäude arbeitet mit den Mitteln des Landschaftsraumes, da dieser die übergeordnete Leit-Struktur des Geländes liefert. Die daraus abgeleitete formale Eigenständigkeit des Gebäudes setzt sich in der Materialwahl fort. Aufgeworfene Grasnarbe für die in der Horizontalen konvex-konkav in Form einer Gauß´schen Kurve geschwungene Betonschale der Dachfläche und eine vertikale Holzkonstruktion für die Fassade. Hierdurch vermittelt das Gebäude einerseits Transparenz als öffentlicher Ort, andererseits Geschlossenheit als Ort der Nachdenklichkeit.

Der Torso des Kongressbaus wird durch diesen Entwurf nicht bewertet oder ästhetisiert – das sich aufwerfende Band wäre auch alleine vorstellbar.

I) Energie- und Zeitfluss

Das historische Energiepotential des Reichsparteitagsgeländes ist janusköpfig. Es basiert auf der maßstablosen Materialakkumulation, der großen historischen Erwartungshalten an die symbolisierten Inhalte und auf seiner heutigen Bedeutung als Denkmal der Geschichte. Jede Auseinandersetzung des Besuchers mit den Anlagen wird zur Umformung dieser historischen Energien führen. Voraussetzung dafür sind Aufklärung und Information. Die neuen baulichen Strukturen der Dokumentationsebene können diesen Umformungsvorgang durch inhaltliche und räumliche Orientierung unterstützen.

J) Ist die Landschaft die versöhnliche Komponente des Geländes?

Die Anlagen des Reichsparteitagsgeländes sind entweder ausdrücklich Teile der Landschaft (Wallanlagen Zeppelinfeld, Große Straße, Baugrube Deutsches Stadion, Schutthügel Silberbuck) oder stellen sich ihr entgegen (aufgesockelte Steinmassen der Kongresshalle und der Zeppelintribüne). Die Bauwerke sind dementsprechend dem Boden verhaftet oder von ihm abgelöst. Aber immer versuchen sie zu trennen, zu formieren, zu kanalisieren. Dadurch entstehen um sie herum semantische Lerräume.

Die neue Landschaftsplastik als Eingangsbauwerk, sowohl des Geländes, als auch des Dokuzentrums, ist statt dessen als erstes Bauwerk der Dokumentation auf dem Gelände ein landschaftliches Element der Verbindung und Vernetzung. Ein Element, das Energie positiv aktiviert und nicht ansammelt und einfriert.

Das Grünband, von dem das Eingangsbauwerk ein Teil ist, bindet durch seine Führung die gegenüberliegende Seite der Bayernstraße an und erschließt damit den Luitpoldhain als Keimzelle des Reichsparteitagsgeländes aus den 20er Jahren.

Was macht Mut in einem Landschaftsraum, der mehr Restfläche als Natur zu sein scheint? Es sind die Menschen, die sich dort aufhalten: Spaziergänger, Sportler, Familien, die trotz aller Widersprüche zwischen Banalnutzung und historischer Bedeutung den Ort zur Erholung aufsuchen. Mit dem Dokuzentrum erhalten sie bei der Beschäftigung mit der Geschichte Hilfe und Orientierung.

Das Grünband ist eine Keimbahn in der Ödnis. So, wie nicht die Architektur, sondern die Information wesentlich dafür ist, dass wir den Ort anders verlassen, als wir ihn betreten haben, ist es nicht die Schönheit der Landschaft selbst, sondern ihre Erfahrung durch die Bewegung im Grünen, durch Sonnenlicht und Regen auf dem Teich und die Weite in der Natur an diesem Ort als Kontrast zur städtischen Dichte, die die Leute veranlassen, das Gelände aufzusuchen.

Das Dokuzentrum ist Beginn einer neuen Nutzung und Gestaltung des Freiraumes, die in Räumen und Flächen verdrängten Inhalten nachspürt, diese kennzeichnet und bewertet, d.h. in Beziehung zueinander setzt. Somit etabliert sie in dieser Freizeitlandschaft eine übergeordnete Idee, in deren Gestaltungsrahmen alle Maßnahmen und Nutzungen ihren Ort finden.

K) Veränderung der Wahrnehmung: Ist der Nord-Flügel ein Dokuzentrum?

Der Nord-Flügel ist selbst Ausstellungsobjekt, wenn er als solches visualisiert wird: Er wird nur dann als Dokuzentrum identifiziert werden können, wenn sein Verhältnis zu Südflügel und Rundbau bewusst erläutert wird. Die Verfremdung des Nordflügels durch die vorgelagerte Landschaftsplastik bezieht den Südflügel in den Blick des Betrachters ein, da die Symmetrie zwischen beiden gestört wird. Dadurch erläutert sich die strukturelle Logik des ganzen Baukomplexes.

Mathias Hennig
Dittrich Lohmann
Julius Mihm

blauhaus
Wir sind ein junges Team aus Architekten und arbeiten überwiegend hier im Stadtteil. Schwerpunkt unserer Arbeit ist die Instandsetzung von Wohnungen und Wohngebäude, der Umbau und die Errichtung von Nebenanlagen für eben genannte Nutzungseinheiten wie Balkone, Remisen, Wintergärten.

Quelle: Viertel 6

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