Reich und angesehen, aber doch für sich? - Die Stellung der Kohns in der Nürnberger Gesellschaft

Während es im mittelalterlichen Nürnberg ein relativ geschlossenes jüdisches Wohnviertel gegeben hatte, wohnten die Juden, die im 19. Jahrhundert hierher übersiedelten, über die ganze Stadt verteilt, auch wenn es, beispielsweise in Gostenhof, Viertel gab, in denen der jüdische Bevölkerungsanteil besonders hoch war. Wohn- und Lebensverhältnisse waren aber bei den Juden ebenso wie bei Nichtjuden vor allem ein Zeichen ihres gesellschaftlichen Status. Nachdem Anton Kohn mit seiner Familie noch im Firmengebäude an der Königsstraße 26 gewohnt hatte, erwarb sein Sohn Emil im Jahr 1897 das Anwesen Campestraße 10 im Stadtteil St. Johannis, wo er eine Familienvilla im Stile eines Rokokoschlößchens mit angrenzendem Park errichten ließ. Man betritt sie noch heute durch ein eindrucksvolles, stuckverziertes Treppenhaus, das sich in einem turmartigen Vorbau in der Mitte des Gebäudes befindet, und gelangt so in das großzügige Vestibül des Hochparterres. Zusammen mit Saal, Veranda und Wintergarten bot sich hier viel Platz für Feiern und andere gesellschaftliche Anlässe. Jede Etage des Hauses bietet etwa 400 Quadratmeter Wohnraum! Hochparterre und erster Stock wurden von den Kohns selbst genutzt, während die Wohnung im zweiten Stock vermietet war. Küche und Wirtschaftsräume lagen im Untergeschoss, das die Dienstboten über ein eigenes Treppenhaus im Nordflügel erreichten.

Aber nicht nur die Villa zeugt vom großbürgerlichen Lebensstil der Kohns, auch Details aus Zeitzeugenberichten ergänzen das Bild. So ließ sich Martin Kohn, einer der beiden Söhne Emil Kohns, der im Vestnertorgraben 15 wohnte, allmorgendlich von seinem Chauffeur ins Geschäft fahren. In diesem durchweg von reichen Familien bewohnten Haus besaß außer ihm nur ein im Erdgeschoss wohnender Arzt ein Auto!

Da Reichtum allein natürlich kein Garant für gesellschaftliches Ansehen ist, stellt sich die Frage, ob das vielfältige Engagement der Kohns in Gesellschaft und Politik von ihren Mitbürgern in irgendeiner Form gewürdigt wurde. Für die 1920er Jahre bezeugen Nürnberger der älteren Generation, die sich noch an die Kohns erinnern können, dass diese bei ihren Angestellten, beim häuslichen Dienstpersonal, aber auch bei Nachbarn und anderen Mitbürgern in hohem Ansehen standen. Für weiter zurückliegende Zeiten gibt es andere Quellen, so zum Beispiel die Nachrufe, die nach dem Tod Anton und später Emil Kohns in den Zeitungen erschienen. Dort heißt es über Anton Kohn, er sei „mit großem Eifer und Erfolg im öffentlichen Leben thätig (gewesen) und hatte sich in gleichem Maße des Vertrauens seiner Mitbürger wie der Achtung der in den verschiedenen Korporationen mit ihm sitzenden Kollegen (erfreut)“. Wie viel Ansehen sich Anton Kohn erworben hatte, zeigt auch die große Menge der Teilnehmer an seinem Begräbnis im Jahr 1882, ebenso wie die Tatsache, dass neben dem Rabbiner Bernhard Ziemlich auch Bürgermeister Christoph von Seiler eine Grabrede hielt. Beide Redner betonten, „dass das hier bestehende gute Einvernehmen zwischen Israeliten und Nicht-Israeliten zumeist dem Verstorbenen zu danken sei“.

Über Emil Kohn schrieb der Fränkische Kurier im Jahr 1906: „Mit ihm ist eine Persönlichkeit dahingeschieden, welche im öffentlichen Leben Nürnbergs vielfach eine einfluss- und erfolgreiche gemeinnützige Tätigkeit entfaltet hat. (…) Viel hat er auch getan im Interesse der Kunst, die in ihm stets einen bereitwilligen Gönner fand, welcher seine Förderung an wichtiger Stelle anzubringen wusste.“

Noch kurz vor seinem Tod war Emil Kohn der preußische Kronenorden IV. Klasse verliehen worden, weil er als Schatzmeister an der Errichtung des Kaiser-Wilhelm-Denkmals in Nürnberg beteiligt gewesen war. Später erhielten sein Bruder Georg Kohn und sein Sohn Richard Kohn aufgrund ihres Wohltätigkeitssinnes, ihres Engagements in öffentlichen Ämtern und ihres wirtschaftlichen Erfolgs den Titel des Kommerzienrats. Auf diesem Wege wurde den Kohns also durchaus auch Anerkennung von höherer Ebene zuteil. Und wenngleich in dieser Zeit Ordens- und Titelverleihungen keine Seltenheit waren, so hatten sie dennoch einen größeren gesellschaftlichen Stellenwert, als dies heute der Fall ist.

Alle diese Hinweise sprechen dafür, dass die Familie Kohn eine angesehene Stellung in der Nürnberger Gesellschaft einnahm. Kann man aber deshalb ihre Integration als Juden in eine mehrheitlich nichtjüdische Bevölkerung als gelungen bezeichnen? Es gibt einiges, was hier zumindest skeptisch stimmt. So fällt auf, dass nach dem Tod Anton und Emil Kohns jeweils vor allem die liberalen Nürnberger Zeitungen ausführlich und wohlwollend über die Leistungen der Verstorbenen berichteten, während konservative und sozialdemokratische Blätter deutlich weniger Interesse zeigten. Damit scheint sich hier im Kleinen zu bestätigen, was auch Forschungen in größerem Zusammenhang erwiesen haben: Die Integration und Assimilation der Juden vollzog sich vor allem innerhalb der Schicht, der sie selbst angehörten, dem liberal eingestellten städtischen Großbürgertum. Und sogar hier blieb eine gewisse Trennung bestehen, wie sie der Nürnberger Jude Rudolf Bing beschreibt:

„Das wir Juden blieben und uns wohl stets auch als Juden fühlten, muss wohl ganz andere Ursachen gehabt haben. Wohl gab es damals in Nürnberg, in der neben der selbstverständlich sozialistischen Arbeiterschaft die überwältigende Mehrzahl des Bürgertums fortschrittlich, das heißt demokratisch, zum mindesten aber liberal war, keinen politischen Antisemitismus. Dennoch lebte die Nürnberger Judenschaft, auch ihr religiös indifferenter Teil, ein gesellschaftliches Sonderleben. Mein Vater war durch politische Bestrebungen und seine starke Tätigkeit in den beruflichen Organisationen mit vielen christlichen Mitbürgern in stärkster Verbindung und mit vielen von ihnen durch wirklich echte Freundschaft verbunden (…). Dennoch kamen die christlichen mit den jüdischen Familien nicht in engere Beziehungen. Namentlich galt das für die Frauen. Ich habe jedoch den Eindruck, dass die Trennung in den Zeiten meiner Jugend geringer war, später aber immer mehr zunahm.“

Auch die Inhaber des Bankhauses Anton Kohn hatten durch ihr starkes Engagement in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik vielfältige Beziehungen zu nichtjüdischen Mitbürgern. Hermann Luppe, von 1920 bis 1933 Nürnberger Oberbürgermeister, der zeitweise im gleichen Haus wohnte wie Martin Kohn und ein Parteifreund Richard Kohns war, scheint letzteren sehr geschätzt zu haben. In seinen Lebenserinnerungen bezeichnet er ihn unter anderem als „Jude(n) von durchaus vornehmer Gesinnung und echter demokratischer Überzeugung und schlagfertigem Witz“. Diese Äußerung ist sicher durchweg positiv gemeint, und dennoch – ohne Luppe deshalb des Antisemitismus verdächtigen zu müssen – fällt auf, dass vor allen anderen Merkmalen die Charakterisierung Richard Kohns als Jude steht. Offenbar wurden Juden von ihrer nichtjüdischen Umgebung – selbst von Freunden! - trotz aller Integrationsbemühungen und trotz aller Anerkennung, die ihnen entgegengebracht wurde, weiterhin auch und vor allem als Juden wahrgenommen. Eine vollständige Integration hat es demnach selbst innerhalb des Bürgertums nie gegeben.

Quelle: Sandberg Verlag: Maren Janetzko
ISBN 3-930699-12-5

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