Lebendige Vergangenheit 1999

Nürnberg, Meuschelstraße 23

Zu den in der Meuschelstraße zahlreich vorhandenen Jugendstilgebäuden, einer Straße, in einem vornehmen Teilbereich der Nordstadt gelegen, die eigentlich „N“´euschelstraße benannt nach dem Stadtpfeifer Hans Neuschel, der 1533 starb und Instrumente für Papst Leo X., Kaiser Maximilian I. und für die Höfe in München, Trier, Kassen und für Ungarn und Polen baute, heißen müsste, gehört auch diese, im Jahre 1998 restaurierte Haus, mit in kräftig roten und blauen Farbtönen gestalteten Quadraten und breiten Linien auf einem ockerfarbenem Sandsteinerker.

Die Häuser Meuschelstraße 23 und 25 mit der Eckbebauung Krelingstraße 43 als Gesamtkomplex errichtet, gehören wohl eher zur früheren Jugendstilphase, worauf die reichen floralen Verzierungen bei allen drei Gebäuden und die Inschrift „A.D. 1904“ im Stuckfeld des Ziergiebels des Gebäudes Meuschelstraße 23 hindeutet.

Die rechts und links neben einem Mittelerker angeordneten, doppelten Fensterreihen werden von schmalen Baumstämmen umrahmt, bei deren Gattungsauswahl wohl auf die im Hof seinerzeit gepflanzten Kastanienbäume Bezug genommen wurde.

Die Wurzeln beginnen über dem Erdgeschoss, sie sind zu Schnecken eingerollt, der Stamm verläuft senkrecht über das erste und zweite, bis zum dritten Obergeschoss, dort geht er in Zweige mit flächenartigen Blättern über, die das Schmuckfries, die Verbindung der drei, seinerzeit von Ludwig Popp, Kommerzienrat und Architekt sowie von Georg Weisheit, Baumeister, der beiden Inhaber des bekannten Baugeschäftes Popp und Weisheit, errichteten Gebäude, bilden.

Die mit dunkelroten Blüten und breiten, verschlungenen Linien gestalteten Brüstungsfelder unter den Fenstern werden zusätzlich von je einem seitlich aus dem Baumstamm über das Sandsteingewände in das Brüstungsfeld hineingelegten Kastanienblattes, verziert. Die Blüten besitzen einen hellen Unteranstrich, über den lasierend der dunkelrote Farbton aufgetragen wurde. Auf den Blättern liegt ein grünlich-weißer Anstrich mit darübergelegten ockerfarben lasierenden Streifen. Die Erhöhungen waren mit Gold belegt.

Auf einem gestuften Sockel, die Vorderseite mit eckigen Ornamentierungen, die Seitenteile mit geschwungenen Linien und Kastanienblättern vor einem Hintergrund mit kleinen, weißen Blüten gestaltet, befindet sich der Mittelerker mit den blauen und roten Quadraten und den breiten Linien.

Seinen Abschluss bildet ein die Mauerausrundung des Balkons ausfüllendes, aus Senkrechtstäben bestehendes Gitter. Das darüberliegende Ziergiebelfeld mit einem ovalen Giebelfenster in der Mitte, mit eckigen Bänderungen, Verzierungen und Blüten reich gestaltet, der geschwungene Abschluss des Giebels ist mit ockerfarbenen Sandsteinquadern eingefasst. Die beiden, an der unteren Giebelbegrenzung situierten Masken erinnern mit ihrer Gesichtsfarbe und der Kopfbedenkung in Form eines Turbans an indische Würdenträger, zum Beispiel an einen Maharadscha.
Die originale Fassung eines Raumes in der im dritten Obergeschoss zeitgleich restaurierten Wohnung entstammt dem Entwurf Josef Olbrichs, einem Kunstschüler des berühmten Architekten Otto Wagners (geboren 1841, gestorben 1918 in Wien) aus der Zeit zwischen 1870 und 1900.

Die Wiener schufen sich ein System neuer Schmuckformen von ungemein zierlicher und geschmackvoller Einfachheit aus ganz schlichten Mustern.

 

In einem weiteren Wohnraum an der Straßenseite, so erzählt die Eigentümerin der Wohnung, sind unter neueren Wandfassungen noch originale Wandmalereien aus der Erbauungszeit in Form eines terrassenähnlich angelegten Gartens, eines Motives, das an die Barockzeit erinnert, verborgen.

Die Malereien in den Stuckfeldern an der Fassade besteht aus einem Öl-Emulsionsanstrich (Öl und Kasein). Der Hintergrund der Brüstungsfelder war ursprünglich ein dunkles rot, vor dem die Bänderungen und die Blätter in einem in grün und gebrochenem weiß gefasst waren, die Blumen lasierend in rot, Blumen und Blätter zusätzlich mit Gold belegt. Die Putzflächen sind mit hellgrünem senkrecht und quer verlaufenden Rillenputz gestaltet (Kammzugputz).

Bei den in Teilbereichen stark verwitterten und beschädigten Putz- und Stuckelementen mussten, bevor mit der Restaurierung begonnen werden konnte, aufgrund ihrer Schäden zunächst Kittungen, Hinterspritzungen von Hohlstellen und das Anbringen von abgefallenen Stuckteilen vorgenommen werden.

Vorhandene Haarrisse in den Malereien wurden durch Auftragen einer Firnis-Emulsion versiegelt und erhielten hiermit ihre Leuchtkraft zurück.

Die originalen Holzfenster wurden erhalten und um das einheitliche Erscheinungsbild wieder herzustellen, wurden in einer Etage die Oberlichtfelder auf ausdrücklichen Wunsch der Eigentümer mit der ursprünglichen Feinsprossung ergänzt.

In den umfassenden Restaurierungsmaßnahmen der gesamten Fassade waren außerdem das Streichen des Rillenputzes, das Neufassen der Giebelornamentik, das Auffrischen der verwitterten geometrischen Quadrate und Linien in rot und blau am Erker, das Neufassen der Masken, das Neufassen des Erkerfußes, des Einfahrtstores und das Streichen des verwitterten Zaunes enthalten, deren gesamte Restaurierung nach dem vorliegenden Befundergebnis erfolgte.

Das Bild der Meuschelstraße, in einem vornehmen Bereich der Nürnberger Nordstadt gelegen, ist überwiegend geprägt von Gebäuden mit Vorgärten, turmartigen Aufbauten, betonten, breit abgeschrägten Ecken und reich, mit aus den verschiedenen Bauepochen stammenden Verzierungen an Sandsteinfassaden, Giebelschmuck und architektonischen Einladungen wie diesem Ensemble, dieser drei gemeinsam errichteten Gebäude, deren neu kreierte künstlerische Gestaltung und Schmuckdekoration nicht mehr an die Stilelemente der Gotik oder Renaissance erinnert, sondern an die mit der pflanzlichen Formengebung und eckigen Linienführung beginnenden, frühen Phase des Jugendstils.

Quelle: Handbuch der Kunstgeschichte von Anton Springer, Band V. von 1800 bis zur Gegenwart

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