Hünen auf hohen Stelzen und schneidender Funk im Renaissancesaal

Zum vierten Mal war die Blaue Nacht in Nürnberg ein Erfolg: Für 130 000 Menschen verwandelte sich die Kulturmeile in eine Open-air-Galerie

Nur langsam kam der Abend in Gang – Tucherschloss und Hirsvogelsaal als neue und attraktive Treffpunkte – Es regnete blaue Konfetti

Evelin Effenberger ist schon blau, als der Abend erst noch erlebt werden will. Eine Fliege klebt an ihrem Hals. In Blau. Pullover, Hose, sogar Schuhe, Lidschatten und Armbänder sind blau. Selbst bei der Wäsche wollte die 50-jährige Nürnbergerin nicht auf die Farbe der Nacht verzichten. Augenzwinkernd gewährt sie (Ein)Blicke auf blaue Spitze. Evelin Effenberger ist von Kopf bis Fuß auf Blau eingestellt, ihre ganz persönliche Hommage an die Blaue Nacht.

Zum vierten Mal ist Blau das Motto des Abends. Zum vierten Mal verwandelt sich die Nürnberger Altstadt in eine Open-air-Galerie mit Lichtinstallationen, Projektionen, Feuerzauber-Spektakeln, kulturellen Leckerbissen und Fastfood-Häppchen an 40 Veranstaltungsorten draußen und drinnen. In Museen, erstmals auch in den Kirchen, im Rathaus zum Beispiel. Rund 130 000 Besucher machen die Nacht zum Tag, in etwa so viele wie im vergangenen Jahr. Ein Erfolg in Serie.

Langsamer Start

Der Abend kommt gemächlich in die Gänge. Solange es hell ist, verströmen Lichtprojektionen und -installationen nur wenig Reiz. Hier und da wird noch aufgebaut. Die Besucher lassen sich treiben, schlendern wie Evelin Effenberger durch die Straßen, schaffen an einem der zahlreichen Essstände eine Grundlage. Die Nacht ist schließlich lang. Viele sparen sich die Eintrittskarte. Draußen dabei zu sein beim Massenevent genügt ihnen.

Peng. Im Schauspielhaus verriegelt man um kurz nach Acht den Leuten die Glastüren vor der Nase. Drinnen langweilt sich eine Mixerin an der Bar, draußen rümpft man die Nase über so viel Zugeknöpftheit. Auch wenn die Revue erst um 22:15 Uhr beginnt...

Es dauert, bis die Veranstaltung zur Massenveranstaltung wird. Andrang herrscht am Anfang vor allem da, wo´s etwas gratis gibt, Joghurts der Molkerei Weihenstephan zum Beispiel. Natürlich in blauer Verpackung. Im Foyer des Neuen Museums sind lange noch Plätze frei. Wer früh kommt, kann Christian Willisohn am Jazzpiano zuhören, dazu im Ledersofa lümmelnd einen Cocktail schlürfen. Hans und Hanne Schwarz sind fast überrascht, dass sie am Eingang kein Gedränge erwartet. „Beim ersten Mal, als wir bei der Blauen Nacht waren, sind wir gar nicht in die Museen reingekommen“, sagt das Zirndorfer Paar.

Die Spannung wächst

Spannung und Erwartung wachsen, als die Nacht über Nürnberg kommt. Vor dem Kopfbau am Kulturzentrum K4 ist kein Durchkommen mehr. Die Blicke sind nach oben gerichtet, in Erwartung der Feuerperformance der Gruppe „Mimikry“. Die Besucher warten zehn Minuten, warten 20 Minuten in dichtem Gedränge. Was kommt, ist schnell vorbei. Künstler seilen sich befackelt an der Ostfassade ab, zeigen am Boden eine Feuershow. Sissi Jander aus Ansbach geht das zu schnell. Sie steht weit hinten, sieht kaum etwas. „Ich habe mir mehr erwartet.“ Das Mehr sucht sie beim Flammenspektakel vor dem Opernhaus.

Dort kommen zu jeder vollen Stunde immer mehr Menschen vor der am Frauentorgraben aufgebauten Bühne zusammen. Hünenhafte Stelzenläufer bahnen sich einen Weg durch die Menschen, Feuerartisten jonglieren archaisch mit Flammen. Am Rande zieht ein unbekannter Besucher der Blauen Nacht die Aufmerksamkeit auf sich. Ein Mitarbeiter des Finanzamts erntet zur Abwechslung mal stillen Beifall. Im Blaumann mit Blauhelm genießt Horst Adamski (63) seinen Auftritt. Ein Ausflug an den äußersten Rand der Kulturmeile: Einer kann sich spätabends gar nicht beruhigen. Da lebe er nun 30 Jahre in dieser Stadt und sei noch nie an diesem traumhaften Ort gewesen. Der junge Mann sagt´s natürlich altersgemäßer: „Ist doch ein echter Hammer hier.“ Gemeint sind das Tucherschloss, der neu angelegte Garten und der Hirsvogelsaal. Letzteren durchbraust gerade der schneidende Funk von „Hot Klub“, einer achtköpfigen Bläserformation, die dem stürzenden Göttersohn Phäton oben auf dem Deckengemälde ein völlig neues Tempo verleiht.

Unbekanntes entdecken

Unbekannte Orte entdecken, bleiben wollen und gerne wiederkommen – ein Nebeneffekt, den die Blaue Nacht bei ihren Konsumenten regelmäßig hat. Dass Stadt mehr sein kann als Einkaufszone und U-Bahn-Station, diese Lektion wird ganz nebenbei erteilt. Das Renaissanceschloss aus dem 16. Jahrhundert, von nächtlichen Gästen nicht gerade überlaufen, aber hoch geschätzt, liegt nun mal ein wenig abseits in seiner Hirschelgasse. Dass man hier nie einen Parkplatz bekommt, das weiß jener junge Enthusiast wohl. Von den Kleinoden der Tucher und Hirsvogel ahnte er bis dato nichts.

Nische sucht Publikum

Die Nische braucht mehr Publikum, der neu aufgebaute Gartensaal mit seinen fast poppig bunten Wänden und Peter Flötners Wandvertäfelungen verdient´s. Bei flackernden Fackeln im Dunklen munkeln, bei Knoblauchbrot und Wein den weltstädtischen Geist des 16. Jahrhunderts inhalieren, das funktioniert heute Abend. Sogar Franz Sonnenberger von den städtischen Museen saugt am Stehtisch ganz entspannt an einer dünnen Havanna. Er ist mit dem blauen Start seines Hauses zufrieden.

Es sind auch die kleinen Gags, die Laune machen. Sonja Ibel hält dem Kollegen an der Bergstraße die wacklige Leiter. Der füllt oben die Konfetti-Kanonen nach, aus der blau-weißer Papierregen niedergeht. Einmal kräftig am Schnürchen gezogen, schon rieselt es. Die Leute finden´s toll.

Die samtenen Fischflossen von Robert Amann dagegen hängen ein wenig traurig nach unten. Er posiert mit einer Nixe im Kunsthaus an der selbst gezimmerten Bar des Nürnberger Künstlers Anders Möhl. Ein Foto im Rahmen, Wassermann inklusive, für schlappe zehn Euro sei ein Schnäppchen, sagt der. Doch das Geschäft geht schlecht, an den netten, etwas abgeschotteten Tresen traut sich kaum einer heran. Er habe, sagt der Künstler nicht ganz ernst, mit Heerscharen von Betrunkenen gerechnet. Doch niemand ist bisher blau genug und kauft...

Quelle: Nürnberger Nachrichten

Hinweis: blauhaus war 2003+2004 Sponsor einzelner Kunstprojekte der blauen Nacht.

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