Henry van de Veldes Villa Esche in Chemnitz

Die Aufgabe war, in drei Räumen der Villa Esche eine museale Darbietung von Objekten einzurichten, die zum Teil aus dem Besitz der Familie stammen, früher in dem Haus verwendet worden sind, deren ursprünglicher Standort aber nicht mehr bekannt ist oder aber von Henry van de Velde für andere Auftraggeber gefertigt wurden. In erster Linie handelt es sich dabei um Möbel aus der Frühzeit Henry van de Veldes; zum Teil haben sie schon in jener Wohnung gestanden, die Herbert Esche vor Errichtung der Villa benutzte. Während im Parterre aufgrund innenarchitektonischer Relikte eine Rekonstruktion des einstigen Zustands probiert werden konnte, war das bei den Räumen der Obergeschosse nicht mehr möglich. Sie mussten also eine Ausstattung bekommen, die deutlich macht, dass es hier nicht um die Darstellung einer bestimmten historischen Lebensform geht, sondern um die Darbietung von Einzelteilen, die zum Teil reichlich zufällig überlebt haben. Vor allem die jetzt eingefügten Podeste erzeugen die notwendige Distanz und vermitteln: » Hier bist du nur Betrachter, aber du kehrst nicht in eine früher einmal bis in die letzte Einzelheit gestaltete Umwelt ein.«

Zum musealen Konzept der Ausstellungsräume im 1. Obergeschoss

Der zentrale Raum im 1. Obergeschoss ist das einstige Schlafzimmer des Ehepaares Esche. Es liegt an der markantesten, der südöstlichen Ecke des Hauses und ist entsprechend dieser Position vom Architekten spiegelbildlich über die Diagonale entwickelt worden. Diese führt von einer kürzeren abgeschrägten Türwand zu einer parallel und geschlossenen Außenwand, vor der einmal das Doppelbett gestanden hat. Auf diese Weise ist der eigentlich quadratische Raum zu einem sechseckigen verwandelt worden – eine Gestaltung, die Henry van de Velde gern anwandte. Er liebte es, strenge Konturen in geschwungene oder polygonale zu überführen. Da das Schlafzimmer wie fast alle Räume der Villa sehr weitläufig ist, muss das Gegenüber von Zugang und Ehebett über die längste mögliche Distanz hinweg wie eine Erscheinungsachse gewirkt haben. Da das gesamte Mobiliar dieses Raums heute verschollen oder in Privatbesitz ist, konnte diese Situation leider nicht wiederhergestellt werden. Und selbst wenn, dann hätten – ähnlich wie auch jetzt noch im Parterre – die großen Teppiche gefehlt, die Teil der ersten Ausstattung waren und die einzelnen Möbelstücke eingebunden, ihnen einen fixierten Standort gegeben hätten.

Rekonstruieren ließen sich jedoch die Türen und Heizungsverkleidungen sowie die ursprüngliche textile Wandverkleidung. Es bot sich nun an, der dominierenden Idee des Raumes zu folgen und die Podeste auf die Diagonale auszurichten. Sie besetzen jetzt die drei massiven Ecken, das größere dort, wo einmal die Betten gestanden haben. Getrennt sind sie durch die beiden Fenster, einander formal zugeordnet durch Abschrägungen der freien Ecken, die das Zentrum betonen. Hier hat dann ein viertes Podest Platz gefunden, das einen seltenen kleinen Teppich aufnimmt. Auf den drei großen Flächen stehen Möbel, die zu Gruppen geordnet sind, aber nicht so, dass der Eindruck einer quasi »familiären« Korrespondenz entsteht. Es handelt sich um Einzelstücke, die sich hier zum ersten Mal begegnen.

Die Einfassungen der Podeste sind aus dem gleichen Holz wie die rekonstruierten Türen und Sockelleisten gefertigt. Für die eigentlichen Flächen wurde ein sattblaues Linoleum gewählt, welches einem in der ursprünglichen Ausstattung der Villa verwendeten entspricht und das sich dadurch in seiner Farbe sehr gut mit der erneuerten örtlichen Wandbespannung und natürlich auch mit den unterschiedlichen Holztönungen der Möbel verträgt.

Rechts – vom Zentrum des Hauses aus gesehen – schließt sich das ursprüngliche Kinderzimmer an. Hier ist das einzige Relikt ein schlichtes rhombenförmiges Stuckornament an der Decke. An sich nicht sonderlich wirksam, war es doch Anregung genug, um aus ihm die Grundform der dreiseitig umlaufenden Podeste zu entwickeln. Diese wiederholen nun mit ihren Vorderkanten den Verlauf des Deckenornaments auf dem Boden. Zusätze sind ein runder Sockel vor dem Mittelpfeiler der südlichen Fensterwand, der einen Globus aufnimmt, dessen Fuß in Messing van de Velde besonders ingeniös gestaltet hat, des Weiteren zwei pultartige Vitrinen, die den Podestumlauf mit Kraft gegenüber dem hinteren türenreichen Teil des Raums begrenzen. Als Farbe für alle Holzeinbauten wurde der gleiche Blauton gewählt, wie in im benachbarten Schlafzimmer das Linoleum aufweist.

War es in diesen beiden Räumen möglich, Vorgaben und charakteristische Gestaltungen Henry van de Veldes aufzunehmen und zeitgemäß fortzusetzen, so konnte das im dritten, links an den Mittelraum anschließenden Raum nicht mehr befolgt werden. Auch schon in der ursprünglichen Planung war das ehemalige Badezimmer ein verschnittener Raum, in dessen Grundriss keine Logik zu erkennen war. So befremden verschiedene Versätze und ein abgetrennter dreieckiger Eckraum, der wohl einst eine vertiefte Wanne aufgenommen hat. Die marmorne Umfassung des doppelten Zugangs hierzu ist neben Resten einer farbigen Dekoration heute die einzige Erinnerung an die ursprüngliche Bestimmung des Raums. Ungeschickt angeordnete Türen bildeten eine weitere Schwierigkeit.

Hier war es also notwendig, durch Einbauten Konturen und eine übersichtliche Ordnung herzustellen. Die einzelnen Möbel auf Podesten entlang den Wänden aufzureihen hätte bedeutet, sie wie abgestellt wirken zu lassen. Sie erforderten nischenartige Fassungen, um sie ihrem Wert entsprechend darzubieten. Die Schräge des Wannenzugangs aufnehmend, ist ein >>Raum im Raum<< gebaut worden, der im Kern sechseckig ist. Dabei ergaben sich zwei dreieckige Resträume, die nun zur Aufnahme einer Dokumentation des Hauses dienen oder Platz bieten für eine weitere Vitrine. Die Möbel, die entsprechend der ehemaligen Nutzung ausgewählt worden sind, stehen auf Podesten frei vor den neuen Wänden oder sind in Nischen eingefügt worden. Dies ergibt ein wechselvolles Spiel, bei dem die wichtigsten Stücke vor-, die anderen zurücktreten. So stehen sich auf der Querachse ein sehr streng und rational entwickelter Waschtisch und ein halbhoher Doppelschrank gegenüber. Die in den Raum neu eingestellten Wände haben eine zart graugrüne Tönung – auch das weist auf die ehemalige Nutzung des Raumes hin – und in Höhe der Stürze läuft ein schmales Messingband um.

Eine besondere Herausforderung stellte die Beleuchtung dieser drei Räume dar. Wiederum einer Anregung Henry van de Veldes folgend, der schon früh statt ausladender Lüster einzelne Pendelleuchten eingeführt hatte, wurden Messingfassungen für verspiegelte Glühlampen entwickelt. Einzeln gehängt, hätten sie in den großen Räumen verloren gewirkt, doch verdoppelt oder vierfach gewannen sie Gestalt und Gewicht. Im ehemaligen Kinderzimmer konnten sie zudem mit dem Deckenornament in Verbindung gebracht werden, das auf diese Weise die bisher fehlende Motivation erhalten hat.

Quelle: Birkäuser Verlag für Architektur: Katharina Metz, Tilo Richter, Priska Schmückle von Minckwitz
ISBN 3-7643-6991-4

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