Fragile Zeugen der Wohnkultur

„Nürnberg weiß-blau“: Ausstellung zu 300 Jahren Fayence-Manufaktur

Mit über 200 wertvollen Keramiken erinnert eine Ausstellung an die vor 300 Jahren gegründete Nürnberger Fayence-Manufaktur. Zerbrechliche Relikte der Stadt-, Wohn- und Industrie-Geschichte.

Zugegeben, das Thema Fayence steht nicht unbedingt im Ruf, ausgesprochen sexy zu sein. Das bekommt auch Helmut Neuner immer wieder zu spüren. Der ältere Herr aus Rückersdorf, der sein Geld mit einer Hühnerfarm verdient, ist einer der bedeutendsten Fayence-Sammler des Landes. Aber er weiß: „Wir sind eine aussterbende Zunft.“
Im Nürnberger Fembohaus hat Neuner (Jahrgang 1942) jetzt sein Wohnzimmer ausgebreitet: 200 Krüge und Teller, aber auch herzallerliebste Rehböcklein auf Sockeln oder eine dekorative Butterdose in Entenform stellt er aus. Und einen Humpen mit dem schönen Trinkspruch: „Es lebe die Jungfer!“ Die ältesten der detailreich bemalten Gefäße aus Neuners Haushalt stammen aus dem 18. Jahrhundert und die meisten davon aus Nürnberg.
Hier wurde vor 300 Jahren die Fayence-Manufaktur gegründet, die schnell zu einer der bedeutendsten Süddeutschlands wurde. „Um 1800 war sie der größte Steuerzahler in der Stadt“, erklärt Kuratorin Ursula Kubach-Reutter. Und das Unternehmen bestand länger als die meisten Konkurrenten, die die Kundschaft ebenfalls mir preisgünstigem Ersatz für das teure Porzellan auch China versorgten. In Anlehnung an die begehrte Ware aus Fernost, war die Farbpalette zunächst wenig variantenreich: blau, blau und nochmals blau auf weißem Grund.
Die in diesem ersten Teil chronologisch aufgebaute Ausstellung zeigt aber anhand der exquisiten, im Germanischen Nationalmuseum (GNM) verwahrten Sammlung, wie das Unternehmen seine Angebotspalette von 1712 bis zur Schließung 1840 dem Zeitgeist und der sich wandelnden Käuferschaft anpasste. Fertigte sie zunächst zum Beispiel mächtige, blau-weiße Wappenteller für Patrizier, machte sie in den letzten Jahren vor allem mit kleinen „Spruchtellern“ für die bäuerliche Kundschaft ihr Geld: „Es lebe Regina!“ im sonnengelben Rund.
Alles war Handarbeit aus einem Guss: Die Herstellung der Keramik, ihre Bemalung und ihr Vertrieb. Vorher mussten sich die sogenannten Hausmaler ihre „Rohlinge“, die Weißware, aus anderen Städten besorgen, dann bemalen und brennen. Was die Stadt nicht gern in großem Umfang sah: Zu hoch war die Brandgefahr, wenn jeder sein Öflein schürte.
Die Stücke der Hausmaler sind heute für Experten besondere Highlights. „Wenn ich so etwas entdecke, muss es her“, bekennt Helmut Neuner. Er behält stets das Geschehen in Galerien und Auktionen im Blick und hat auch schon auf Ebay gekauft. Für das Stück eines Hausmalers muss man tief in die Tasche greifen. Das rechnet Silvia Glaser, Fayence-Expertin im GNM vor: „Die Preise liegen bei rund 10 000 Euro, es kann aber auch mal das Fünffache sein.“
Das Problem mit dem Sammler-Nachwuchs hat Helmut Neuner zumindest im eigenen Haus erfolgreich gelöst: Sein Sohn sagt: „Als Kind fand ich die Sachen befremdlich.“ Inzwischen ist er selbst entflammt für die Feuerkunst.
Birgit Ruf

Quelle: Zeitungsartikel Nürnberger Nachrichten Samstag 22. September 2012 – Kultur

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