Ein Bücherturm aus Stahl und Glas

Sich bei Fremden im Wohnzimmer einmal ungeniert umschauen – dass die alljährlichen „Architektouren“ der Architektenkammer solche Wünsche erfüllen, erklärt ihren Erfolg. Zehn Stationen waren in Nürnberg am Wochenende zu besichtigen. Stippvisiten in Ziegelstein und Großreuth.

Hausherr Ekkehard Jecht bewahrt Fassung. Über 60 Menschen drängen sich in seiner zweistöckigen Bibliothek aus Glas und Stahl, stehen andächtig vor goldgeprägten Bücherrücken, sind mucksmäuschenstill. Immerhin geht es um die enge Verwandtschaft von Literatur und Architektur, 200 Meter Bücher sind in dem hohen Turm versammelt. Also bittet Jecht zunächst „um zehn Minuten Ihrer kostbaren Zeit“, steigt auf die Bibliotheksleiter und greift zum Buch.
Es ist ein Text von E.T.A. Hoffmann übers Bauen, den er gekonnt rezitiert.
Die bundesweit größte Sammlung von Werken des Romantikers ist in diesem Bücherturm in Ziegelstein versammelt. Auf stählernen Regalen, die zugleich Bau und Bücher tragen, stehen sie, und wer glaubt, dies sei der gesamte Fundus des Sammlers und leidenschaftlichen Lesers, der täuscht sich. Weitere 200 Meter verlieren sich in dem 400-Quadratmeter-Haus aus den 70ern, das dem Psychotherapeuten-Paar Ekkehard Jecht und Gudrun Hennig in Ziegelstein als Wohn- und Praxisraum dient.

Nicht nach Schema F

E.T.A. Hoffmanns Hauptperson im vorgetragenen Text übrigens baute unkonventionell, ließ zuerst hohe Mauern errichten, um dann erst Fenster und Türen schlagen zu lassen. Doch auch bei den „Architektouren“-Gastgebern ging nicht alles nach Schema F, wuchs sich der ursprünglich gedachte gläserne Freisitz auf dem Dach binnen eines Jahres zum respektablen Biblio-Turm aus.
Monatelang habe man eigentlich nur geredet, berichtet nun der Architekt und lobt die Bauherrn („solche gibt’s nur alle zehn Jahre“), die für Turm, neue Fenster, Fassade und Flachdach-Sanierung am Ende eine halbe Million hinlegten. Derweil musste Mathias Hennig (blauhaus-architekten, mit der Bauherrin nicht verwandt) skeptische Handwerker ermutigen, Angstpreise drücken und die zarte Stahltreppe einpassen lassen.

Die Glastüren öffnen sich und die Besucher inspizieren nun den Garten, das Biedermeier Mobiliar nebenan und die Titel auf den Bücherrücken. Ein Sonnenschirm auf dem Dach verrät, dass die Bewohner am Ende noch zu einem Freisitz gekommen sind. Jetzt haben sie von dort den Blick auf Bücherwände. Großreuth ist ein Dorf in der Großstadt geblieben. Entlang der Hauptstraße stehen alte Bauernhäuser mit Barockschnecken. Ein offener Hofraum, dazu ein Nebengebäude, damit kann auch der Neuling dienen, den Silvia und Manfred Tölzer hier 2005 bezogen haben.

Die Form war im Kopf

Bei dieser Verbeugung vor der Umgebung ist es geblieben. Einen schlichten weißen Kubus hat Architekt Markus Kraus für die dreiköpfige Familie entworfen. „Die Form war klar in unserem Kopf“, sagt die Hausherrin und führt durch den aufgeräumten Wohnraum, zeigt das Hauswirtschaftszimmer und den Garten mit der stählernen Regenwasser-Zisterne im Boden.
Auf 620 Quadratmetern Grund sind 146 Quadratmeter heller Wohnraum entstanden. „Lauter ehrliche Materialien“ hat Markus Kraus verwendet, „Qualität bis hin zur Türklinke“. Dass nur zwei Formate eines dänischen Industriefensters zum Einsatz kamen, hoch oder quer, half sparen. Es öffnet sich nach außen. Auch daran gewöhne man sich, sagt der Bauherr.
Auf einen Keller haben die Tölzers verzichtet. Müll und Geräte stecken im hölzernen Nebengebäude im Hof, auch die Autos parken hier. Die Gäste („dürfen wir?“) erklimmen die offene Stahltreppe, bestaunen das schicke Bad, die Helligkeit, die durch ein Oberlicht strömt.
Nur das Kinderzimmer von Tochter Franziska bleibt verschlossen. So viel Besuch war der Zehnjährigen wohl doch ein wenig unheimlich. Sie hat die Flucht ergriffen, doch ihr Kommentar beim Einzug wird der Interessentenschar überliefert: „Das schönste Haus, das ich je gesehen habe.“ Widerspruch kam von den Eltern keiner.

Quelle: Nürnberger Nachrichten

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